Name: Dimitrii Mischkin - Димитри Мисчкин
Frühjahr 2015, auf einem Schrottplatz in der Nähe von Kiew
Zwei Schüsse peitschen durch die Nacht, zwei Männer sinken getroffen zu Boden. Zwei Sekunden später hört man etwas entfernt noch einen Schuss, kurz darauf Schläge, ein stumpfes Röcheln mehr Schläge und schließlich einen metallischen Schlag und das Bersten von Knochen...
Ein einzelner Mann verlässt eilig zu Fuß den Platz, er lässt vier Leichen zurück...
Winter 2014, Major Pjotr Chevinskii kommt in unsere Stube, wir, das sind Starschina (Stabsfeldwebel) Lew Mladskow und ich, Starschina Dimitrii Mischkin, wir sind beide Teil des 5. Garde-Scharfschützenregiments, stationiert auf einer Militärbasis auf der Krim. Wir sind spezialisiert auf Kriegführung in städtischer Umgebung und Personenschutz, arbeiten deshalb auch manchmal mit Abteilungen der Geheimdienste FSB und GRU zusammen und übernehmen Spezialaufgaben.
Was nun aber Major Chevinskii mitbringt sieht sehr nach einem weiteren Spezialauftrag aus, er trägt zwei identische mehr als anderthalb Meter lange Koffer in den Händen, die Beschriftung in westlicher Sprache. Bedächtig stellt er sie auf den schäbigen Tisch zwischen unsere Feldbetten und öffnet einen... Ein nagelneues, sonderbar aussehendes Gewehr liegt vor uns dreien, ungewöhnlich, ganz ohne Holzteile sieht es irgendwie modern aus im Vergleich zum Standardgewehr 6W1 (Snaiperskaja wintowka Dragunowa, SWD). "Dies Genossen ist die Waffe des Feindes, ein britisches L96-Scharfschützengewehr. Ich möchte dass ihr damit ebenso gut schießt wie mit euren 6W1, ihr habt 4 Monate Zeit. Dies ist eine Spezialmission, zu niemandem ein Wort!"
Wir üben und üben, bald sind wir genauso gut oder sogar besser mit dem ungewohnten westlichen Gewehr und lernen die Technik zu verstehen, ein Stück weit werden wir westlich was uns etwas Angst macht, die ausgeklügelte Technik des modernen Gewehres fasziniert uns...
Nach den angekündigten 4 Monaten bekommen wir unseren Einsatzbefehl, Verlegen nach Kiew, Besprechung mit Major Chevinskii vor Ort. In einem Bauernhof vor den Toren Kievs treffen wir ihn wieder, in Zivil. Auch wir bekommen zivile Kleidung, müssen unsere Uniformen zurücklassen... Meine Mütze stecke ich mir allerdings ein... Dann geht es in einem Lastwagen weiter, unterwegs bekommen wir Details:
Wir sollen ein Geheimtreffen eines hochrangigen Staatssekretärs des Italienischen Außenministeriums mit einem ukrainischen Kontaktmann, einem Agenten verhindern! Wir sollen es so aussehen lassen als ob der britische Geheimdienst das Treffen angegriffen hat, deshalb die britischen Waffen!
Wir kommen auf einem Schrottplatz an, auf dem es hauptsächlich Militärschrott zu sehen gibt, alte verbeulte Lastwagen und Geländewagen, auseinandergerissene Anhänger und einige ausgebrannte T-34-Panzer. Es dämmert gerade so dass wir uns vorsichtig eine Position auf der Ladefläche eines alten LKW suchen, Chevinskii dicht hinter uns. Wir breiten unsere Decken aus, darin eingewickelt ein Kissen und die vertraut gewordene Waffe... und warten. Es wird immer dunkler und eine schwache Glühlampe am Verwaltungsgebäude des Platzes geht an. 10 Minuten später kommen zwei Fahrzeuge den holperigen Feldweg von der Hauptstraße herauf und halten vor dem Gebäude. Türen öffnen sich und zwei Männer steigen aus den Fahrertüren, keine Begleiter, wie erwartet.
Stumm verständigen wir uns, Lew den Rechten, ich den Linken, wie schon so oft, und wie auch in Zukunft, wir kennen uns seit der Grundausbildung... Lew kommt wie ich aus einem kleinen Dorf bei Odessa, ich hatte mal was mit seiner kleinen Schwester... Mit ihr ging es auseinander, mit Lew bin ich immer noch befreundet.
Zwei Schüsse peitschen auf, zwei saubere Treffer in die Brust, wie verlangt, damit man die beiden noch identifizieren und in der Zeitung abbilden kann, Chevinskii hatte an alles gedacht. routiniert schwenke ich von meinem Ziel zu dem von Lew, um zu sehen ob er oder ich besser getroffen haben, sehe noch einen Mann zusammensinken. Kurz fällt der Lichtschein auf sein Gesicht, und ich erschrecke: Es ist der Leiter der GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, Militärgeheimdienst)-Abteilung der Ukraine, General-polkownik (Generalleutnant) Viktor Okorin, unmöglich dass er ein Agent sein soll, er ist über jeden Zweifel erhaben! Ein Komplott!
Ich drehe mich um und sehe Major Chevinskii mit seiner Tokarev in der Hand, er zielt konzentriert auf Lew und bevor ich etwas tun kann erschießt er ihn. Von dieser ungeheuerlichen Situation überwältigt zögere ich noch eine Sekunde länger, eine Ewigkeit, bevor ich Chevinskii die Füße unter dem Körper wegtrete und er beim Sturz seine Pistole verliert, sie rutscht außer Sicht. Auf Leben und Tod kämpfen wir und rollen dabei hin und her, aber das Training der Scharfschützen ist hart, so gewinne ich immer mehr die Oberhand und lande ein paar gute Treffer, Chevinskiis Nase bricht unter einem wuchtigen Faustschlag. Kurz lässt er mich los, ich greife suchend um mich, muss irgendeine Waffe finden, fühle kaltes, rundes und rostiges Metall, schwer liegt es in meiner Hand. Ich schwinge den alten Stoßdämpfer den ich gefunden habe wie eine Keule und zertrümmere Major Chevinskiis Schädel mit einem einzigen Schlag. Vollkommen erschöpft bleibe ich kurz liegen, dann durchsuche ich Chevinskiis Leiche, nehme alles was ich an Papieren finden kann an mich, genauso Lews und meine Ersatzmunition und mein L96 und mache mich auf den Weg. Den Stoßdämpfer nehme ich ebenfalls mit, er ist eine gute Waffe!
Ich bin jetzt ein Mörder, ein Deserteur der zwei hochrangige Offiziere ermordet hat und einen Unbekannten, ich bin mit einer Waffe unterwegs die ich nicht haben dürfte und habe keine Freunde mehr, keine Familie, kein Ziel. Die Papiere ergeben auch nichts Sinnvolles, nur dass Major Chevinskii und sein jüngerer Bruder offenbar Teil einer größeren Verschwörung innerhalb der Armee sind um den GRU zu schwächen. Ich werde gejagt, und alle die ich oder Lew kennen sind in Gefahr. Unsere Eltern sind tot, nur Lews Schwester Maria Mladskow lebt noch. In Odessa habe ich sie nicht gefunden, sie hat sich Spinnern angeschlossen die die ZONE erkunden wollen auf der Suche nach einem Anführer der dort leben und die Erleuchtung bringen soll. Ich hoffe sie lebt noch, nun ein Jahr später bin ich ganz in ihrer Nähe. Zu ihr mache ich mich auf den Weg, ich muss sie finden und versuchen sie zu beschützen.
Sollte mir etwas zustoßen hinterlasse ich diesen und weitere Briefe damit unsere Sowjetregierung an meiner Stelle herausfinden kann was mir zugestoßen ist.
Dimitrii Mischkin,
Kiev, März 2016